Ortlieb von Brandis
1458 – 1491
von Albert Fischer
Ortlieb von Brandis wurde 1430 als Sohn des Wolfhard V. von Brandis, Herrn von Maienfeld, Vaduz, Schellenberg und Blumenegg, und der Verena von Werdenberg-Bludenz geboren. Die aus Brandis bei Lützelflüh im Kanton Bern stammenden Freiherren von Brandis besassen im Sarganserland und im Vorarlberg grössere Herrschaften. Seine Besitzungen im Berner Oberland verkaufte Wolfhard erst 1455 an die Stadt Bern. Ein weiterer Sohn Wolfhards, Rudolf von Brandis, ergriff wie Ortlieb die geistliche Lauf-bahn und war von 1459 bis 1467 Churer Domdekan.
Die Churer Dignitären wählten Ortlieb, der noch im Studium weilte, bereits 1453 zum Dekan. Mit päpstlicher Dispens konnte er seine theologische Ausbildung an der Universität in Pavia abschliessen. Erst 28-jährig wurde er am 30. Mai 1458 zum Bischof von Chur gewählt; am 21. Juli desselben Jahres erhielt er die päpstliche Bestätigung und wiederum die nötige Dispens wegen mangelnden Alters. Bis dato hatte er nur die niederen Weihen empfangen. Die Regalien verlieh ihm Kaiser Friedrich III. am 20. September 1459. Vier Jahr später, am 27. März 1463, empfing er in Como durch Bischof Lazaro Scarampi die Bischofsweihe.
Der Episkopat von Brandis war durch wiederholte Auseinandersetzungen mit dem Gotteshausbund und vor allem mit der Stadt Chur gekennzeichnet, die beide ihre Autonomie – wie bereits erwähnt – gegenüber Bischof und Österreich-Tirol zu behaupten suchten. Die Stadt Chur, welche seit 1422 unabhängig vom Bischof Bürgermeister und Rat wählte, erhielt 1464 nach einem verheerenden Stadtbrand vom Kaiser die Erlaubnis, die Reichsvogtei über die Stadt gegen Ausbezahlung einer Pfandsumme an sich zu bringen. Mit Erfolg vermochte Brandis einstweilen diesem Vorhaben entgegenzuwirken; 1481 entschied Friedrich III. sogar, die Reichsvogtei dem Bischof zu belassen. Doch gab die Stadt nicht nach und übte gemeinsam mit Abgeordneten aus dem Gotteshausbund Druck auf den Bischof aus. Schliesslich gab dieser nach und verkaufte 1489 mit Einwilligung des Kaisers die Vogtei für 700 Pfund an die Stadt Chur. Zuvor war es ihm gelungen, die Vier Dörfer, in diesen das Bistum begütert war, vom Jurisdiktionsbereich der Reichsvogtei auszunehmen. Auch blieb ihm die hohe und niedere Gerichtsbarkeit auf dem Churer Hofbezirk erhalten. Die angeschlagene finanzielle Lage des kirchlichen Sprengels konnte Brandis nachhaltig verbessern. Es gelang ihm sogar, weitere Herrschaftsgebiete zu kaufen, so 1475 Heinzenberg, Thusis, Tschappina (von den Grafen von Werdenberg-Sargans) und 1483 die Herrschaften Belmont und Castris (von den Grafen von Sax-Misox).
Zu Erzherzog Sigismund unterhielt Bischof Ortlieb gute Beziehungen, die erst 1486 getrübt wurden, als der Erzherzog die Territorialherrschaft des Churer Bischofs im Val Müstair anfocht.
Über die geistliche Tätigkeit von Ortlieb von Brandis gibt es nur wenige Aufzeichnungen. Unterstützt wurde der Bischof beim Ausüben der kirchlichen Funktionen von zwei Weihbischöfen, Johannes Nell OFM (ca. 1459–1467) und dem Zürcher Dominikaner Burkhard Tubenflug OP (1471–1473, Weihbischof von Konstanz 1473–1476).
Im liturgischen Bereich liess Brandis 1490 das “Breviarium Curiense” und das “Directorium Chori” drucken; beide sollten dem Ritus der Diözese eine gewisse Einheit geben (Angaben zur Gestaltung der Messfeier, Regeln zur Festsetzung der Kirchenfeste).
Ortlieb von Brandis war nicht zuletzt ein herausragender Förderer der Kunst. 1491 wurde der von ihm 1486 in Auftrag gegebene spätgotische Flügelaltar (Hochaltar) in der Kathedrale von Chur durch Jakob Russ aus Ravensburg vollendet. Schon 1484 war das acht Meter hohe, in Stein gehauene Sakramentshäuschen von Claus von Feldkirch im Mariendom errichtet worden.
Ortlieb von Brandis, ein begabter und würdiger Kirchenfürst, der mit Festigkeit und Tatkraft, aber auch mit Weisheit, Klugheit und Berechnung in schwierigen Verhältnissen das doppelte Steuerruder der geistlichen und weltlichen Regierung führte, starb nach einer über dreissigjährigen Amtszeit am 25. Juli 1491 nach langer Krankheit. Er wurde in der Kathedrale in einem schon 1485 in Auftrag gegebenen Marmorsarkophag beigesetzt.